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Interview

„Wenn ich aus dem Konzept komme, kann ich keine Sicherheit ausstrahlen“

Dass die Einsatzkräfte des KIT-München nicht hauptamtlich arbeiten, hat keinen Einfluss auf die Qualität der vorangegangenen Ausbildung. Eine professionelle und vergleichsweise umfangreiche Ausbildung, wie es sie in der KIT-Akademie gibt, ist notwendig, um die Einsatzkräfte für ihre Aufgabe mit allem auszurüsten, was ihnen dabei hilft, einer vom Moment überforderten Person kompetent und einfühlsam zu helfen.

Über 100 theoretischen Unterrichtseinheiten an der KIT-Akademie schließt sich eine Phase als KIT-Praktikant:in an. Diese dauert in der Regel ein Jahr. Die frisch ausgebildeten Einsatzkräfte begleiten während dieser Zeit erfahrene Einsatzkräfte im Einsatz.

Sie schauen zunächst nur zu, übernehmen aber sukzessive mehr Aufgaben bei der Betreuung. Im Idealfall haben sie nach ihrer Praktikumszeit viele verschiedene Meldebilder erlebt und mit betreut. Eine gewisse Bandbreite ist Voraussetzung, um die Ausbildung abschließen zu können.

Vera Angerer war für das KIT-München im Einsatz und Dozentin in der KIT-Akademie. Lange war sie für das Ressort Ausbildung und damit auch für die aktiven Praktikant:innen zuständig.

Wie bereitet man Einsatzkräfte auf eine Tätigkeit vor, in der sich keine Situation exakt wiederholt und Unvorhersehbarkeit zum Alltag gehört?

Vera Angerer: Indem man sich auf die Gemeinsamkeiten konzentriert. Ich kann immer nur ein Gerüst im Kopf haben. Wie ich das konkret gestalte, muss ich vom Einsatz abhängig machen, die Stabilität aber kann ich vorher beeinflussen. Es ist für das Ziel unserer Einsätze, Personen wieder handlungsfähig zu machen, oft nicht wichtig, warum wir genau kommen. Es gibt stattdessen feste Parameter, auf die man bei jedem Einsatz schaut - und diese Parameter kann man gezielt einüben. Das passiert in den Kursen mit praktischen Übungen und Gesprächen.

Welche Parameter sind das?

Angerer: Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie ich Kontakt herstelle, aber auch die Psychoedukation, die Bestandteil jeder Betreuung ist. Ein ganz zentraler Punkt ist die Identifikation von Ressourcen, auf die betroffene Personen zurückgreifen können. Dabei geht es darum, Dinge oder Menschen zu finden, von denen die Person im Moment Sicherheit für sich ableiten kann; auf sozialer, aber bei Todesfällen auch auf materieller Ebene.

Welchen Stellenwert hat der theoretische Ausbildungsteil auf einem Feld, in dem es um soziale Interaktion geht?

Angerer: Einen sehr hohen. Wir wollen Menschen helfen, indem wir Sicherheit und Ruhe vermitteln. Wenn ich aber selber aus dem Konzept komme, macht mich das unruhig - dann kann ich keine Sicherheit mehr ausstrahlen. Aus dem Konzept komme ich immer dann, wenn ich die Abläufe nicht kenne; wenn ich nicht weiß, wie ich mich an einem Einsatzort sicher bewege, oder zum Beispiel beim Thema Suizid oder mit einem bestimmten Krankheitsbild überfordert bin, weil ich keinen theoretischen Hintergrund und auf Fragen keine Antwort habe. Indem wir theoretisches Wissen mit praktischen Übungen kombinieren, führt das zu einer Sicherheit, die in jeglichen Kontexten hilfreich ist.

Ausbildung und Engagement im Einsatz sind für ein Ehrenamt sehr zeitaufwändig. Wären das keine Argumente für eine Hauptamtlichkeit?

Angerer: Ich halte Krisenintervention im Ehrenamt für sehr gut aufgehoben. Niemand fühlt sich in jeder Lebenssituation und jeder Phase mit sich im Reinen. Man braucht aber eine gewisse Grundentspanntheit, um Leuten in schweren Lebenslagen helfen zu können.

Wir haben immer wieder Kolleg:innen, die kürzertreten, weil es beruflich gerade stressig oder im privaten Kontext schwierig ist, oder weil es in kurzer Zeit einfach zu viele Einsätze waren. All das geht nicht, wenn man das hauptberuflich macht und zum Dienst erscheinen muss.

Dadurch, dass es ein Ehrenamt ist, bleibt mein Blick darauf, ob ich gerade wirklich bereit bin, das zu leisten, unverstellt. Andernfalls wäre der Bereich Krisenintervention ein Bereich, der dafür prädestiniert wäre, dass sich Menschen selbst zu viel zumuten.