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Erdbeben in der Türkei und Syrien

Leiterin der Rettungshundestaffel war vor Ort im Einsatz

Nachdem die Türkei und Syrien am 6. Februar von einem schweren Erdbeben erschüttert worden waren, das über 47.000 Menschen das Leben kostete, setzten neben Einsatzkräften vor Ort auch internationale Teams alle Hebel in Bewegung, um im Schadensgebiet möglichst schnell Hilfe leisten und so womöglich noch Überlebende aus den Trümmern in den völlig zerstörten Gebieten bergen zu können. Anke Boysen und ihr Hund Aquim waren unter den Ersten, die in der Türkei ankamen. Keine 36 Stunden nach dem Beben war die Staffellleiterin der Rettungshundestaffel München mit dem Team von International Search and Rescue (I.S.A.R.) Germany im Katastrophengebiet vor Ort.

 
Anke Boysen, wie lange hatten Sie Zeit, um sich auf den Einsatz im Erdbebengebiet vorzubereiten?

Anke Boysen: Um kurz vor fünf kam der Voralarm, zwei Stunden später dann die Alarmierung, aber da standen meine Taschen schon im Auto. Ich habe immer ein fertig gepacktes Daypack für mich und für den Hund für zwei, drei Tage und eine große Tasche, wo Dinge wie ein Schlafsack und Kleidung für bis zu zehn Tage drin sind. Das geht also sehr schnell.


Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?

Anke Boysen: Wir haben eine Zerstörung unvorstellbaren Ausmaßes vorgefunden. Die Häuser, die noch standen, hatten massive Risse in der Struktur und tragenden Teilen. Teilweise sind ganze Ecken von diesen Häusern einfach rausgebrochen. Es gab mehrstöckige Wohnbauten, bei denen die Stockwerke heruntergedrückt waren, Pancake nennt man das. Es war ein sehr starkes Erdbeben. Wir hatten auch noch Nachbeben in unserer Zeit dort. Eher leichte, aber auch die sind gefährlich, weil sie zum Beispiel etwas zum Einsturz bringen können, was ohnehin schon gekippt oder instabil ist.

Wie gefährlich ist die Trümmersuche unter diesen Bedingungen?

Anke Boysen: Sehr riskant für alle Beteiligten, ganz klar. Manchmal ist Aquim unter den Trümmern einfach verschwunden. Er kam dann wieder. Irgendwann. Auch wir sind auf die Trümmer gestiegen, kein Mensch wusste, ob das unter uns zusammenbricht. Aber man weiß um dieses Risiko, und ich weiß auch, dass ich Aquim dafür ausgebildet habe, wofür der Hundestaffel im ASB mein großer Dank gilt. Trotzdem kann etwas passieren, und deshalb ist es die Entscheidung jedes Einzelnen. Aber es ist eben auch eine ganz wichtige, lebensrettende Aufgabe. Das haben wir sehr an der Reaktion der Menschen vor Ort und ihrer Dankbarkeit für unsere Arbeit gemerkt.

Sie waren 7 Tage im Schadensgebiet, wie finden Sie in den Alltag zurück?

Anke Boysen: Ich muss das sacken lassen. Im Einsatz funktioniert man, denkt nicht viel nach. Man merkt, dass man mit dem Wort Katastrophe hier manchmal leichtfertig umgeht. Es haben viele Leichen unter den Trümmern gelegen. Eine Frau, die wir lebend geborgen haben, ist im Krankenhaus verstorben, das hat uns als Team sehr betroffen gemacht. Wir haben aber betreuende Ärzte im ISAR Germany. Wir könnten uns also bei Bedarf Hilfe holen. Im Moment ist alles in Ordnung. Wenn man merkt, dass es da doch etwas gibt, das nicht mehr aus dem Kopf geht, haben wir als Einsatzkräfte natürlich die Möglichkeit für Psychosoziale Nachbetreuung. Für die Hunde bedeutet ein solcher Einsatz Stress. Aquim schläft viel zurzeit, aber er regeneriert schnell. Zwischendurch gehen wir in den Wald, einfach zum Schnuppern und Laufen.

 

Foto: I.S.A.R. Germany

Was bedeutet ein solcher Einsatz für den Hund?

"Solche Einsätze bedeuten viel Arbeiten für den Hund aber auch viel Stress." Zwar ist Aquim mit seinen 10 Jahren ein sehr erfahrener Rettungs- und Trümmersuchhund. Das Suchen selbst sei deshalb trotz der schwierigen Bedingungen relativ unproblematisch gewesen. Der Hund merkt, "dass das jetzt hier kein Training ist und geht, weil er weiß, dass er jetzt suchen gehen muss. Es ist in dem Moment einfach sein Job. Das verstehen die Hunde durchaus. Trotzdem ist eine hohe Suchmotivation beim Hund erforderlich und das kann man trainieren". Dass die Gegebenheiten vor Ort immer wieder Lebensgefahr für Hund und Hundeführerin bedeuteten können, steht auf einem anderen Blatt. "Natürlich ist ein solcher Einsatz hoch riskant", sagt Boysen, "wir laufen auf Trümmern herum, Aquim war immer mal wieder verschwunden, niemand kann sagen, ob da etwas einstürzt." Sie fügt allerdings hinzu: "Ich kenne dieses Risiko, ich weiß, dass ich Aquim dafür ausgebildet habe, und dass etwas passieren kann, weiß ich auch. Es ist aber eben auch eine ganz wichtige, lebensrettende Aufgabe."

Während sie Aquim in der Rettungshundestaffel München für den Einsatz gut vorbereitet hat, lassen sich die Strapazen der Anreise in keinem noch so guten Training simulieren. Allein das Warten am Flughafen mit Menschenmengen, fremden Gerüchen und immer wieder langen Wartephasen zerren an den Nerven. Beim Flug durfte Aquim in die Kabine.

Vor Ort waren die Witterungsbedingungen eine echte Herausforderung. In den meisten Erdbebengebieten ist es warm, in diesem Fall fielen die Temperaturen nachts zweistellig unter den Gefrierpunkt. Zwei dicke Hundemäntel hatte Boysen für Aquim dabei, eine Decke und Pfotenschuhe, für den Fall von Verletzungen auf den Trümmern. "Wir mussten anfangs viel warten, da ist es wichtig, dass Aquim nicht auskühlt", erläutert Boysen, "er muss warm bleiben, damit er sich nicht verletzt und gut arbeiten kann."

Nach einer Woche im Einsatz gehe es nach der Rückkehr nach Deutschland vor allem darum, aktiv zu regenerieren: "Er ist erschöpft und schläft viel. Hunde regenerieren sich schnell. Aber es ist ganz wichtig, ihn nicht nur schlafen zu lassen, sondern rauszugehen." Um den Kopf frei zu kriegen, werde sie mit ihrem Hund "zum Laufen und Schnuppern in einen Wald gehen". Ganz ohne Einsatzdruck, und vor allem ohne Flugzeuge.